Qualifikationsverfahren
Das Qualifikationsverfahren für Grafiker:innen mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis umfasst eine Vorgegebene Praktische Arbeit ( VPA ), eine Prüfung in theoretischen Berufskenntnissen sowie die Präsentation eines Portfolios. Das Qualifikationsverfahren steht am Schluss der vierjährigen Ausbildung und führt zum Erlangen des Eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses.
Der ‹ Bildungsplan für Grafiker:innen EFZ › nennt neben den für die Ausübung des Berufes erforderlichen Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen auch eine Reihe von Fachkompetenzen innerhalb der Tätigkeitsfelder Akquise, Analyse, Planung, Idee, Konzept, Entwurf, Detailgestaltung, Präsentation, Realisierung und Projektadministration. Im Qualifikationsverfahren wird geprüft, ob die Lernenden die erforderten Kompetenzen während ihrer Ausbildung in ausreichendem Masse erlangt haben.
Die VPA umfasst eine vorangestellte Recherche- und Analysearbeit, die in einer ‹ Dokumentation › zusammengefasst wird. Hauptteil der VPA ist das ‹ Gestaltungskonzept › : es zeigt den Ideen- und Entscheidfindungsprozess sowie den Gestaltungsprozess mittels Skizzen und Entwürfen auf. Basierend auf dem Gestaltungskonzept werden schliesslich diverse teils vorgegebene und teils wählbare Kommunikationsmittel grafisch umgesetzt. Abgeschlossen wird die VPA mit der Präsentation der Arbeiten vor einem Gremium von Fachleuten.
Die Dokumentation erarbeiten die Lernenden selbstständig, Gestaltungskonzept und Umsetzung hingegen werden am Standort Basel mit allen Lernenden gemeinsam in der Schule für Gestaltung innerhalb von zwei Wochen erarbeitet.
Das Thema für die VPA 2023 war der Entwurf eines Editorial Designs für eine produkteorientierte Kochbuchreihe. Während der sieben Projekttage wurden ein Gestaltungskonzept für Inhaltseiten und Umschlag sowie eine Landing Page zur Vermarktung der Publikation entwickelt. Das Kochbuch sollte Rezepte zu einem bestimmten Lebensmittel enthalten, beispielsweise zur Kartoffel, zum Apfel, zur Tomate, zu Vollkorn-Produkten etc. Abgegeben werden mussten folgende Buchteile : Umschlag, Vorwort, Inhaltsübersicht und zwei Rezept-Doppelseiten sowie ein Entwurf für die Landing Page.
Zum Schluss des Qualifikationsverfahrens wird zudem das ‹ Portfolio › präsentiert. Es zeigt, mit welchen Mitteln und Medien die Lernenden ihre eigenen Arbeiten dokumentieren und präsentieren können. Das Portfolio wird von den Lernenden selbstständig erarbeitet, die Arbeit daran kann ab Mitte der Ausbildung begonnen werden. Das Portfolio ( die Form des Portfolios, nicht die darin gezeigten Arbeiten ) wird ebenfalls bewertet ; die Note fliesst mit einem Anteil von zehn Prozent in die Qualifikation-Gesamtbewertung ein.
Lieblingsarbeit
Das Zigerli Manifesto
Die Aufgabe einer Grafiker:in ist es, visuelle Information und Identität klar und verständlich zu kommunizieren. Sünde jedes Designs ist es, den Betrachtenden die Aussagen nicht vermitteln zu können. Die Kund:innen sollten niemals von einem Design überfordert sein, sondern so gradlinig wie nur möglich zu den Informationen gelangen.
Nun liegt jedoch ein Dossier zu einem Corporate Design vor Ihnen, das voll mit unverständlichen, überladenen Symbolen ist: Sterne, Ziegenköpfe, Blümchen und viele mehr. Das ist Schrift – der Zigerli Type. Ich habe diese Schrift als primäre Schrift und Key Visual für das Corporate Design des Modedesigners Julian Zigerli entworfen.
Jedes der Zeichen in dieser Schrift steht für einen römischen Buchstaben und verweist auf einen bestimmten Aspekt in Zigerlis Identität. Kern jeder Zigerli-Kollektion ist eine Provokation, ein intelligenter, wohlstrukturierter Witz, der sich mit den Themen von Zigerlis Kollektionen auf neue Art auseinandersetzt und in seiner Mode «verstofflicht» wird. Oft werden diese Provokationen nicht verstanden, Zigerlis Mode wird als schräg angeschaut. Auch ich habe das während der Zeit des Corporate Design Projektes immer wieder erlebt, wie Lehrpersonen diesen Ansatz wegen seines „abgedrehten Stils“ für fundiert hiessen.
Es wäre nun naheliegend, diese „abgedrehte“ Mode mit einem simplen Corporate Design zu unterstützen, um potentielle Kund:innen nicht von dieser Fülle zu verscheuchen.
Das ist zu einfach. Das ist nicht Zigerli genug. Verstanden zu werden ist das letzte, was Zigerli interessiert. Seine Mode macht ihm und den Leuten, die sie tragen möchten, zuerst einmal einfach Spass. Diese kleine Gruppe hält Julian Zigerli die Treue. Es war diese treue Kundschaft, die ich vor allem ansprechen wollte. Diese Leute lassen sich gerne herausfordern, finden neue Dinge interessant und schätzen die neckende Art, wie Zigerli Mode macht und diese präsentiert. Auch wenn sie dafür schräg angeschaut wird.
Der Zigerli Type spricht genau diese Bedürfnisse an. Die Schrift ist eine Reaktion auf den Druck, Marketingkonventionen zu entsprechen: Wenn die breite Masse es sowieso nicht versteht, dann können wir es gleich noch unverständlicher machen.
Die Bindung zwischen Kund:in und Zigerli wird mit diesem Corporate Design noch stärker. Der Designer ist sehr präsent in der Vermarktung seines Labels: Er läuft auf den Laufstegen mit, macht nackte Fotoshootings mit dem Haupt-visual „Po“ und verkauft seine Mode am Limmatquai in seinem eigenen Laden. Bereits jetzt geht er auf Augenhöhe mit seiner Kundschaft, wie in einer Freundschaft. Dieses Gefühl soll im neuen Corporate Design verstärkt werden. Alle hatten Freund:innen in der Kindheit, denen sie geheime Briefe schrieben, in einer selbst gestalteten Geheimschrift.
Dies machte die Nachricht umso persönlicher, da sie nur von dem vertrau-ten Gegenüber gelesen werden konnte. Das gleiche Gefühl möchte ich den Kund:innen Zigerlis mit dem Zigerli Type bescheren: eine Kommunikation, die sich so persönlich anfühlt. Natürlich sollen neue Kund:innen nicht ausgeschlossen werden, weswegen ich immer auch eine Übersetzung mitliefere.
Aus meinen Recherchen schloss ich, dass Geheimschriften ein etabliertes Phänomen sind. Die Dadaisten waren dafür bekannt, unverständliche Texte zu schreiben oder verständliche Texte die mit unverständlichen Dingbats zu verschlüsseln. Geheimschriften waren in vielen Randgruppen verbreitet. Man denke an die das Berner Matten-Englisch, die verschwörerischen Geheim-codes der Mafia oder den Slang, der sich zwischen 1960 und 1990 in der Queer-Szene in Amerika entwickelt hat. Letzteres ist gutes Beispiel dafür, wie reizvoll das Unverständliche sein kann. In den letzten Jahrzehten ist die Queer-Szene immer mehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerutscht, durch Fernseh-serien und Social Media. Heute weiss jede heterosexuelle Person zum Beispiel,was „slay“ bedeutet. Eine ausgegrenzte Gruppe hat eine eigene Kultur aufgebaut, die attraktiv für die Masse geworden ist.Ein ähnlicher Trend ist im Schweizer Marketing zu beobachten. In letzten Jahren nationalisieren Firmen Ihre Werbungen und Markekern immer mehr. Das heisst, zum Beispiel, dass Werbungen auf schweizerdeutsch gemacht werden. Dies spricht die jüngere Generation an die einen linken Patriotismus ver-tritt aber auch die ältere Generation die sich freut Dialekt in den verschiede-nen Medien zu sehen. Eine Zielgruppen Einschränkung hat grosse Vorteile, vor allem in einem kleinen Land wie der Schweiz. Es generiert Treue und Wiedererkennungswert.
Niemand kann den Zigerli Type von Anfang an lesen. Man muss sich damit beschäftigen um zu verstehen. Auch wenn dies kein herkömmlicher Ansatz an eine Corporate Design oder Type Design ist, ist es mein Versuch dieses Gefühl voneinem zugeschnittenen Medium, das ich in diesem Text auf viele Arten beschrieben habe, zu replizieren. Wie ein Pulli der dir deine Grossmutter in deinen Lieblingsfarben gestrickt hat, wie eine Geburtstagskarte mit einem Insiderwitz, zwischen dir und deiner Freundin, drauf.